Interview mit:
Frank Raddatz mit SCBLM in Theater der Zeit, Febr 2011
FR: Showcase Beat le mot – wie kommt man zu solchem Namen?
SBLM: Als Mitglieder von „Batterie Kongress“ und „Michael Jackson Coverband“ haben wir in Gießen das Kollektiv „Junge Talente“ gegründet. Inspiriert von einem Softpornoheft, so einem Tittenblättchen…
FR: ... das Damen als „junge Talente“ präsentiert!
SBLM: Genau. Wir haben deren Köpfe ausgeschnitten und unsere eingesetzt. Unser erstes Plakat. Als wir zum Festival >Junge Hunde< auf Kampnagel eingeladen wurden, traten wir unter unserem späteren Namen an. „Showcase“ ist einerseits ein Guckkasten für Sahneschnittchen und für Torten in Restaurants und zweitens veranstalteten die Plattenfirmen in der Zeit vor MTV Showcases, wo Bands live angehört wurden, die zuvor Demotapes geschickt hatten.
„Beat le Mot“ – setzt einen Beat unter mot, also französich Wort: „Schlag das Wort“. Zudem szeckt „Beatle“ darin, denn wir waren – muß man wohl sagen - eine Boygroup. Damals noch zu fünft. Wie die Beatles auch am Anfang.
FR „Schlag das Wort“ ist die programmatische Spitze gegen das Literaturtheater.
SBLM: Das kann man so sehen. Wobei wir auch Sprechtheater machen. Deswegen ist die zweite Ebene: Wort plus Musik - Beat plus Wort. Allerdings arbeiten wir zumeist nicht linear wie das klassische Literaturtheater. Wir bedienen uns mehr der Methode des Samplings. In allen Bereichen. Also auch in der Sprache. Wenn wir Texte finden, die uns formal oder inhaltlich gefallen, dann nehmen wir uns die Freiheit, diese Texte unseren Bedürfnissen anzupassen.
FR: Um sie poetischer zu machen?
SBLM: Oder inhaltlich falsch zu machen. Ich kann zum Beispiel einen Text über Grippe zu einem Text über den deutschen Herbst machen. Bei unseren Versuchen Wörter abzugreifen, beschränken wir uns aber nicht auf den Dramenkontext sondern benutzen auch Texte aus Comic, Fernsehen, Film, Romanen, wissenschaftlichen Abhandlungen oder Lyrik. Dazwischen setzen wir dann dramatische Texte mit verteilten Rollen, die wir oft auch selbst schreiben.
FR: In diesem Patchwork von Texten taucht plötzlich >Der Rabe< von Edgar Allan Poe auf. Plötzlich steht dieses Nevermore im Raum. Wie kommt man zu solch einem Schlüsselwort im Rahmen eines Abends über die Pariser Commune?
SBLM: Wir wollten in dem Stück die Abstraktionsschraube etwas weiter drehen. Weil wir uns inzwischen in eine Tradition gezwungen sehen, wo wir thematisches Erfüllungstheater machen. Wir sind in diesem Dilemma, dass wir nicht gefragt werden „Wollt ihr ein Stück machen?“, sondern wir müssen Anträge stellen. Dafür geht 50% unserer Zeit drauf. Wir nehmen uns politische Themen vor, müssen die aber zuvor hausaufgabentechnisch bearbeiten. Das ist ungefähr so wie Aufsätze schreiben für die Schule. In dem letzten Stück wollten wir diese Situation ästhetisch reflektieren. Poe ist ein gutes Beispiel. Er zeigt eher die Atmosphäre, die zu dieser Zeit herrschte, als dass er konkret etwas zu der politischen Lage der Zeit sagt. Er räumt mit diesem Künstler-Genie-Gedanken auf, diese spitzwegsche Figur, der arme Poet, der die Zeitungen nur zum Heizen und zum Zudecken benutzt. Dabei stellt er sich als ein Schriftsteller dar, der unglaublich methodisch vorgeht und sehr genau weiß, wie Kompositionen funktionieren und wie sie wirken, wie er etwas einsetzen muss, um erfolgreich zu sein. Er war pleite zu dieser Zeit und musste unbedingt einen Hit landen. Da gibt es Tricks und die legt er offen. Dabei stand er in dem Ruf, sich seine Texte zu ersaufen und per Opium zu erträumen. So wie wir.
Poe legt die Methode systematisch dar, nur stimmt das nicht, was er sagt. Der Text ist bezeichnenderweise nach dem Gedicht geschrieben worden, so dass er sich das zurechtgerückt hat, wie es ihm passte. Das ist keine eins zu eins Dokumentation oder eine Faktenpräsentation, sondern er lügt. Dieses Lügen zu lernen, ist wichtig für uns.
FR Dieses „Nevermore“ ist auch ein Kommentar zur politischen Situation der Zeit, die als restaurativ wahrnehmbar, wo die Idee der Revolution oder eingreifendem politischen Handeln plötzlich absurd wirkt, weil der geschichtliche Horizont sich alternativlos präsentiert.
SBLM Wann ist der Zeitpunkt erreicht, wo man sagt, jetzt geht es nicht mehr? Heute müsste man sagen: wo der Spaß aufhört? Wir kämpfen heute nicht nur um Ressourcen sondern müssen uns fragen, wie können wir uns die Zeit zurückerobern? Zeit wird uns vom Neoliberalismus nicht mehr gegönnt. Da wird „Nevermore“ als Zeitwort interessant. Das meint auch ganz konkret von Arbeitszeit. Das ist etwas, was uns nicht zugestanden wird: Zeit auf der Bühne; Zeit zum Nachdenken; Zeit zum Stückeentwickeln; Zeit zum Lesen und zum Recherchieren. Wir sind nur noch Erfüllungsgehilfen der Kuratoren. Der Jurys, die thematische Blöcke setzen und über Vorträge absichern, indem sie dem Zuschauer erklären, was passiert. Der Zuschauer denkt sich dann das, was man sich gerne wünscht. Der Akt der Rezeption findet auf der theoretischen Ebene statt.
In den letzten zehn Jahre haben die Kuratoren den Künstlern die Kontextualisierung aus der Hand genommen. Was wir produzieren, wird aus dem Zusammenhang Showcase Beat le Mot herausgerissen und in andere Kontexte versetzt. Unsere Sachen werden nicht mehr als work in progress gesehen oder als Serie sondern als Einzelprodukte, die mal besser mal schlechter gelingen, mal besser verkauft werden und mal schlechter.
Man geht dadurch kein Risiko mehr ein. Man kreiert einen Themenblock und wenn was daneben geht, macht das nichts, denn man ist über den Themenblock abgesichert. Es gibt kaum noch Mut für gewagte Einzelwahnsinnsprojekte.
Der Vorteil ist, dass, bis zu einem gewissen Grad, eine Demokratisierung der Kunstszene stattgefunden hat. Auch kleine Sachen kriegen plötzlich eine Bedeutung. Der ganze Betrieb wird irgendwie lauter. Nur unsere eigene Arbeit ist stressiger geworden, weil wir pro Zeiteinheit mehr produzieren müssen, um auf einen Schnitt zu kommen. Das ist Fließbandarbeit.
Uns ist diese Abhängigkeit gerade schmerzhaft bewusst geworden, und wir suchen Strategien, wie wir da rauskommen. Aber in der Freien Szene ist es nicht so wie im Stadttheater, wo ein Intendant sagt: „Ich finde euch gut, macht doch mal was bei mir. Ihr habt carte blanche.“ Das gibt es nicht. Nur das Theater Parkaue hat tatsächlich gesagt: >Hallo, macht bitte Kinderstücke bei uns<.
FR Nun gehen Sie demnächst ans Stadttheater nach München.
SBLM Das Münchener Residenztheater hat als Nebenspielstätte den sehr schönen Marstall, und die haben tatsächlich gesagt: >Macht da was ihr wollt. Wir präsentieren da unsere eigenen Erwachsenen- und Kinderstücke, entwickeln eine neue Produktion, die dort Premiere haben wird und laden zusätzlich Leute ein, die wir gut und interessant finden.
FR Eine offene Möglichkeit, wo Sie Herrscher ihrer Insel sind.
SBLM: Man hat viel mehr Gestaltungsmacht, als das sonst in diesem großen Ringelpietz-Kulturbrumbrum der Fall ist. Wobei die Stadttheater eine Struktur der Freien Szene kopieren. Es gibt jeden Abend Programm so wie Lilienthal das am HAU macht. Dieses Prinzip wird jetzt auf die Stadttheater übertragen. Man spricht auch von der Festivalisierung der Theaterhäuser. Die Theaterhäuser werden den Festivals angepasst. Man pickt sich die Rosinen aus dem großen Kulturkuchen und trägt zusammen, wie man das für richtig befindet.
TdZ Also Eventkultur.
SBLM Letztendlich läuft es darauf hinaus.
TdZ Ihr Fall zeigt, dass die Grenzen des Stadttheaters gegenüber den Formen der Freien Szene durchlässiger werden.
SBLM In die Stadttheater ist längst eine Generation nachgerückt, die aus unserem Bereich kommt. Natürlich sind wir auch Teil einer PR Aktion, denn, indem man uns präseniert, erzeugt man viel mehr Öffentlichkeit, als wenn man mit einem alteingesessenen Ensemble zum hundertfünfzigtausendsten Mal das Käthchen von Heilbronn zeigt. Wir sprechen wiederum DJs an, die für die Clubszene attraktiv sind und andere interessante Leute, und lassen die im Marstall auftreten. Es geht den Häusern bei solchen Strategien auch um eine Verjüngung des Publikums.
FR: Die neuen Theaterformen haben auch eine hohe Akzeptanz. Es geht niemand verstört aus einer Inszenierung von Rimini – Protokoll am Düsseldorfer Schauspielhaus oder aus dem Großen Haus in Stuttgart, wenn Pollesch inszeniert.
SBLM: Diese beiden Namen fallen in diesem Zusammenhang immer sofort. Doch wenn man weiter überlegt, kommt lange nichts. Die künstlerische Realität besteht immer noch darin, dass jemand einen Themenpaket schnürt. Wir produzieren etwas und parallel überlegen Kuratoren in welchem ihrer Kontexte, Schwerpunkte, Mini-Festivals sie das einbauen. Das Paket Showcase wandert also von Paket zu Paket.
FR Es gibt eine Definition, wonach die Kuratoren mittlerweile die eigentlichen Künstler sind. Wird damit die Realität erfasst, in der Sie eigentlich leben?
SBLM: Wir leben im Zeitalter der Kuratoren. Keine Frage. Das ist die Situation, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Boris Groys hat gesagt, die eigentlichen Diskussionen finden heute im Westen unter Kuratoren und Dramaturgen statt und nicht unter Künstlern. Im Gegensatz zu Russland, wo die Künstler zusammen Wodka trinken und neue Ideen ausspinnen. Das ist etwas dran, denn bei uns interessieren sich die Künstler wenig für einander und sind damit beschäftigt in diesem System, diesem Betrieb weiterzukommen und zu überleben.
Zudem wird den Künstlern jegliche politische Macht genommen, weil sie ständig irgend welchen Anträgen hinterher hecheln. Symptomatisch ist doch, dass sich, wenn jetzt das HAU neu vergeben wird, sich keine Künstlerinitiative bildet, die mitbestimmen will, wer da Intendant wird. Das hängt ganz stark damit zusammen, dass man immer wieder Anträge schreiben muss, sich mit den Entscheidungsträgern gut stellen muss, anstatt wie in den Beneluxländern Initiativen zu gründen, die dazu geführt haben, dass Gruppen praktisch ganze Häuser übernehmen.
Diese politische Kastration hängt auch mit dem Phänomen der Kuratoren zusammen. Warum gibt es plötzlich eine Kuratorenschwemme? Auf einmal tauchen hoch spezialisierte Menschen auf, die keine Künstler sind, sondern Vermittler zwischen Kunst und Ökonomie, die Managerfähigkeiten haben, aber auch philosophisch ausgebildet sind. Die passen perfekt in das Theater - und Kunstsystem, weil die mit Geld umgehen können und mit dieser Spezies alles fassbarer, kontrollierbarer und berechenbarer wird. Berechenbarer was Themen angeht, aber auch was Geld angeht.
TDZ Mit dieser Antragskultur wird ein sehr einseitiges Kunstverständnis situiert. Das Kunstvorhaben muß begrifflich sauber in 1000 Zeichen definiert werden, einsichtig sein und als Wirkungsmacht nachvollziehbar. Das ist ein positivistischer Kunstbegriff, der von den überwiegenden Kunsttheorien nicht geteilt wird, wo gesagt wird, so bald der Künstler seine Intention durchschaut hat, ist sie schon verbrannt und muß er das Projekt nicht mehr machen.
SBLM Ich wundere mich immer, dass ausgerechnet die Politik denkt, dass Kunst vorhersehbarer ist, als der Ausgang von der Wahl.
FR Das passt zur Quantifizierung des Studiums nach Kategorien von Bachelor und Master nicht anders. So organisiert sich eine Gesellschaft, die an Effizienz als obersten Wert glaubt.
SBLM Vor ein paar Jahren hat es einen noch ziemlich irritiert, über sich zu schreiben und zu überlegen, was kommt dabei raus. Das waren unangenehme Prozesse. Mittlerweile ist man bei Floskeln angekommen, die auch gerne gehört werden. Man kommt sich vor wie in so pitchings von Werbeveranstaltungen und schreibt Sachen, die das System optimieren. Wenn man es nicht tut, kriegt man kein Geld. Zumindest hatten wir das Gefühl bei der letzten Basisförderung, die wir nicht bekommen haben. Denn wir hatten uns entschieden, zu sagen: „Schluss mit eurem thematischen Hausaufgabentheater. Wir machen zwei Stücke über Alles und Nichts!“ In dem erklärenden Abschnitt haben wir begründet, warum wir das nicht mehr so mitmachen wollen und die entsprechende Quittung bekommen.
TdZ Sie haben sich gegen diese Form der Entmündigung oder Disziplinierung gewehrt und sind blockiert worden?
SBLM: Das ist unsere Vermutung, denn wenn man nachfragt, warum man nicht gefördert wurde – verantwortet sich die Jury nicht. Auch wenn man sie persönlich anruft.
TdZ Ein bisschen kafkaesk. Heiner Müller hat noch gesagt, Kunst funktioniert wie ein Unfall. Aber man kann schlecht in solche Anträge schreiben, mit dem Mittel der Irritation wird eine Gemütsverdunkelung provoziert.
SBLM: Mir fällt fast kein Stück ein in den letzten Jahren, was wie ein Unfall funktioniert hätte. Alles sieht eher nach Modenschau aus. Die Kleider sind die Fakten, die man im Dokumentartheater sich anzieht. Es gibt keine Schauspieler, sondern Darsteller als Träger dieser Fakten und die laufen auf und ab und sehen gut oder interessant aus. Zumindest frisch und noch nicht verbraucht. Alles ist gut ausgeleuchtet und das tut alles nicht weh. Gerne würde ich mal wieder so Unfallstücke sehen, wo man denkt: Ach du Scheiße, was ist das denn? Oder: Das kann man doch nicht machen.
Eine Regel ist, man soll nicht langweilen, eine zweite Regel, es muss verständlich sein. Regeln, die aufgestellt wurden, um mit dem bürgerlichen Theater in einen Kampf zu treten. Aber inzwischen nimmt das so Entertainment-, Fernsehfunktionen an und begünstigt eine landesweite Verflachung.
TdZ Vielleicht beschreiben Sie mal anstatt dieser Welt administrativer Zwänge wie Ihre Realität wirklich aussieht.
SBLM Es geht damit los, dass wir eine Deadline haben, um einen Antrag einzureichen. Wir lügen uns dann einen in die Tasche, um das Projektkonzept so aussehen zu lassen, dass es bei den zuständigen Behörden Vertrauen erweckt, Verlässlichkeit und einen linearen Ablauf suggeriert. Wenn das fertig ist, beschäftigen wir uns mit unseren aktuellen Gastspielen. Zwei, drei Monate vor Premiere fangen wir mit der Arbeit an. Ohne Konzept. Da setzt dann ein Prozess ein, den wir selber nicht durchschauen. Wir tragen einen gigantischen Materialberg zusammen. Da ist von Musik über Comics, Filme, Fernsehserien, alles dabei. Diesen Materialberg zünden wir an und atmen den Rauch ein…
TDZ Die Teilung in Regisseur und Schauspieler gibt es bei Ihnen nicht sondern einen Gemeinschaftswillen, einen volonté générale wie bei Rousseau,
SBLM Eigentlich sind wir Chaosmanager. Wobei es dann irgendwann schon einen Moment der Ordnung gibt. Dann hängen wir vier, fünf leere Seiten an die Wand, und schreiben sie mit Texten, die wir gesammelt haben, mit Sounds, Ideen zu Musik, Ideen zu Choreografien, Bühnenbildideen. Zwei Wochen vor dem Moment, wo es auf die Bühne geht, gucken wir unser Archiv an und entscheiden, was wir verfolgen wollen. Dieses Verfahren ist dadurch bedingt, dass wir keinen Text als Ausgangspunkt haben. Denn Text gibt Sicherheit. Wir versuchen, auch wenn es nicht immer gelingt, wirklich Neuland zu betreten. Dabei sind wir auch gleichzeitig immer unser Rettungsboot. Eigentlich sind wir die ganze Zeit dabei, das Rettungsboot aufzupusten Manchmal erreichen wir einen Kontinent und manchmal gehen wir unter.
Wir verstehen das, was mir machen, meist erst beim Spielen. Oder Zuschauer erklären uns später, was unsere Aktionen überhaupt bedeuten. Wir spüren nur, das ist wichtig, das hat eine zentrale Bedeutung, aber wir erkennen sie in dem Moment noch nicht.
Das kann man sich nur erlauben, wenn man nicht auf ein konkretes Produkt hin arbeitet, sondern immer mit der eigenen Vorstellung, der Vorstellung der anderen und den eingebrachten Ideen so locker flockig umgeht wie nur möglich. Man darf nicht das Produkt vor Augen haben oder eine Zeitlinie, wie die Aufführung wann auszusehen hat. Unsere Qualität entsteht dadurch, dass wir uns das zu viert, plus X, natürlich kommen noch Helfer dazu, dass wir uns zu viert plus x etwas ausdenken. Warum bin ich zum Beispiel oft im Stadttheater gelangweilt? Weil ich die Fantasie einer Person sehe. Der Regisseur und seine Fantasie. Zwar hat er noch Helfer, aber letztlich ist er der Bestimmer der Bilder. Wenn da mindestens vier Köpfe beteiligt sind, wird es einfach unübersichtlicher. Aber in einem positiven Sinn. Und vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum es zu dieser guten Art der Unverständlichkeit führt. Zu einem Staunen, zu einem eher Fragenaufwerfen als Antwortengeben.
Philosophisch könnte man sich auf Deleuze und Guattari stützen, die das Kausalitätsprinzip aufheben und sich auf Plateaus oder das Rhizom beziehen. Man muß lernen, die Komplexität oder das Chaos als den eigentliche Wirkmechanismus der Natur und eben auch der Kommunikation zu akzeptieren.
TdZ Der administrative Kunstbegriff beruht auf der Idee des autonomen Subjekts beruht, während die Bildung einer kollektiven Intelligenz beschreiben.
SBLM Was auch eine Art von Organismus wäre. Als solcher werden wir von unseren Freunden und Feinden mittlerweile auch gesehen. Das ist sehr schön. Showcase Beat le Mot ist eine Bezeichnung eines Choreografie-Regie-Bühnenbild-Video-Text-Monsters.
SCBLM über Kinder- und anderes Theater mit Christiane Müller-Lobeck, zusätzliche Fragen wurden gestellt von: Amelie Mallmann (Theater an der Parkaue Berlin), Kathrin Tiedemann (FFT Düsseldorf), Stefan Rüdinger (Parkaue Berlin)
Das Interview führte
Frage: Wie seid Ihr zum Kindertheater gekommen?
SCBLM: Das war eher Zufall. Während des Donaufestivals in Österreich hat unser Fahrer immer Ragga-Musik im Auto gehört. Dariusz hat dann angefangen darauf Hotzenplotz Texte zu toasten und das hat sich irgendwie richtig angehört. Zwei Wochen später berichteten wir einem Dramaturgen von der Parkaue von diesem Experiment und wenige Tage später kam die Anfrage vom Haus. Das ist die wahre Legende von Ragga-Hotzenplotz.
Frage: Habt ihr vorher schon mal darüber nachgedacht Kindertheater zu machen?
SCBLM: Nicht wirklich, zwar haben treue Showcase-Zuschauer gesagt, manche unserer Stücke wären ja schon kindertauglich und ein Freund beschrieb unsere Theaterabende als „freundliches Anbieten harter Themen“, aber Kinder als Zuschauer konnten wir uns erst mal nur in Begleitung Erwachsener vorstellen.
Frage: Hört sich an, als ob sich zwei gefunden hätten....
SCBLM: Tatsächlich ist ein Aspekt unserer Arbeitsweise das inhaltliche Herantasten an Themenkomplexe, die uns zwar interessieren, in denen wir uns aber nicht so gut auskennen. In der Probephase versuchen wir dann möglichst viel über ein Thema oder eine Fragestellung herauszufinden, und das Ergebnis präsentieren wir schließlich als didaktisch-dialektischen Theaterabend. Böse Zungen könnten das jetzt als „Sendung mit der Maus-Theater“ bezeichnen, aber diese Beschreibung unserer Arbeitsweise würde viel zu kurz greifen. Wir denken immer auch über die Präsentationsform, das gegenwärtige Theater usw. nach. Nur geschieht das auf einer subtileren Ebene.
Frage: Fühlt Ihr Euch wohl im Kinder- und Jugend-Theater?
SCBLM: Pudelwohl. Wir sind ja eher wie das Kind zur Jungfrau gekommen und haben darüber hinaus gemerkt, dass im Kinderbereich viel mehr möglich ist als im Erwachsenen Genre. Das Stadttheater ist eine festgefahrene Form. Dort gilt nach wie vor häufig die Maxime des „Schönen, Wahren und Guten“, es gibt einen Bildungskanon der abgearbeitet wird und die Kritiker urteilen darüber, wie gelungen das ist. Im Kindertheater und in der Performanceszene gibt es kaum Einschränkungen, aber auch keine so große Aufmerksamkeit. Diese beiden Genres sind Experimentierfelder.
Frage: Wie meint ihr das?
SCBLM: Na ja, zuerst kannten wir uns im Kinderbereich gar nicht aus, jetzt haben wir einen Blick durch den Vorhang werfen dürfen und festgestellt, dass Kindertheater fast so variationsreich wie das Manga-Comic Feld in Japan ist. Dort gibt es Mangas für Kleinkinder, für Mädchen oder Jungen, Teenager oder Rentner. Im Kindertheater gibt es Stücke für die Krabbelgruppe mit Licht und Objekten zum anfassen, es gibt Theater für die Schulanfänger und Stücke, die gerade in der Oberstufe durchgenommen werden. Die Bandbreite ist riesig und auch die Formen schwanken wie auf hoher See. Es herrscht eine unglaubliche Freiheit. Schauen Sie sich nur das Programm der Parkaue an. Die fahren volles Risiko und machen damit nicht nur die Eltern glücklich.
Frage: Denkt Ihr, dass Ihr eine spezifische Form des Kindertheaters erfunden habt?
SCBLM: Da kennen wir uns immer noch zu wenig aus. Außerdem sind unsere Stücke stark an der Ästhetik unserer „Erwachsenenstücke“ dran. Nur will das keiner erkennen. Manchmal denken wir, dass unsere Kindertheaterstücke wie ein „Best-Off“ der Erwachsenenschiene funktionieren. Viele Erzählweisen, Kostüme, oder Schauspielhaltungen sind schon mal aufgetaucht, nur nicht so explizit. Darum ärgern wir uns auch über die Feststellung mancher Beobachter, dass unsere Kindertheatersachen zwar super, die Abendstücke aber zu sperrig sind. Ja Leute, seid Ihr denn blind? Könnt Ihr kein Theater gucken, oder was? Die beiden Arbeitsfelder gehören zusammen, sie sind nicht mal zwei Seiten einer Medaille, sondern ein zum Düsenjäger gefalteter Papierflieger, der Zuschauern direkt ins Auge uns weiter rauf ins Hirn fliegt.
Frage: Könnt Ihr trotzdem einen Unterschied zwischen Erwachsenen- und Kindertheater festmachen?
SCBLM: Der Unterschied liegt in den Zuschauern. Noch nie hatten wir ein solch begeisterungsfähiges und kritisches Publikum. Das könnte an der Ironiefreiheit und Ehrlichkeit liegen, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie gezeigt werden. Allerdings haben wir es noch nicht gewagt uns der schwierigen Gruppe der Pubertierenden zu stellen. Das steht bald an, und daran wird sich schließlich messen lassen, ob unser Zeug was taugt oder nicht.
Frage: Ist es Euch peinlich, wenn Eure Hamburger oder Giessener Performance Kollegen fragen, was Ihr gerade macht. Oder anders, was muss passieren, dass man mit Kindertheater angeben kann?
SCBLM: Wenn unsere Mitmenschen hören, dass wir Kindertheater machen, dann gibt es zwei Arten von Reaktion. Die eine geht so: „Oh wie süüüß, das müssen ja wirklich gute Menschen sein.“ Die andere geht so: „Die armen Schweine, jetzt haben sie’s im Erwachsenentheater nicht gepackt und müssen schon aufs Kindertheater ausweichen.“ Beides ist natürlich falsch. Es sagt mehr über den Menschen, der das sagt, als über uns oder über Kindertheater oder über Erwachsenentheater. Uns persönlich gehen solche Zuschreibungen schon immer am Arsch vorbei, weil sie nicht künstlerisch, also menschlich motiviert sind, sondern sozial, und weil sie Ausdruck von Obrigkeitshörigkeit sind. Wir wissen ja noch nicht einmal, was ein Kind ist, und wie sich ein Kind von einem Erwachsenen unterscheidet. Woher sollen wir dann wissen, was Kindertheater ist und wie es sich von Erwachsenentheater unterscheidet?
Frage: Wie seht Ihr Kindertheater unter Bildungsauftragsaspekten oder als Zukunftsmarkt für qualitative Unterhaltung, da die Bedeutung der Kinderausbildung ja eher größer wird.
SCBLM: Unseren Bildungsauftrag nehmen wir im Kindertheater genauso wie im Erwachsenentheater wahr und zwar ungefragt. Die Auftraggeber sind in beiden Fällen wir selbst und sonst niemand.
Frage: Welche Wünsche habt Ihr in diesem Zusammenhang an die Theaterleiter, Kuratoren, die Kulturfonds und die Politik.
SCBLM: Die Aufgabe der Theaterleiter und Kuratoren ist es, Produktionsmittel und Zuschauer zu beschaffen. Die Aufgabe der Kulturfonds ist es, Geld über den Schreibtisch zu schieben, um unsere öffentliche Dienstleistung zu bezahlen. Die Aufgabe der institutionalisierten Politik ist es, die Schnauze zu halten und sich nicht in unsere Angelegenheiten einzumischen.
Frage: Wo seht Ihr die Showcase Performance in 5 Jahren? Gibt's es da ein Kindertheater-Anteil oder ist es nur eine Not- bzw. Zwischenlösung?
SCBLM: Warum bitte soll Kindertheater eine Notlösung sein? Welche Not? Welche Lösung? Gibt es Ihrer Meinung nach bessere und schlechtere Zuschauer, ein wertvolleres und ein weniger wertvolles Publikum? In dieser Frage schwingt viel unredliches Dünkel mit, sie ist Ausdruck einer Geringschätzung, die in Deutschland Kindern im Allgemeinen entgegengebracht wird. Schauen Sie sich an, was in anderen Ländern für Kinder getan wird: in Skandinavien oder den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Dort ist Kindererziehung eine hohe politische Aufgabe, der sich die kulturellen Eliten widmen. Hier bei uns wird dieser Ehrgeiz durch eine unerträglich sentimentale Überhöhung der Kindheit ersetzt. Dieser weinerliche Kinderkult ist uns vollkommen fremd. Vermutlich sind wir deshalb viel besser befähigt, diese Menschengruppe ernst zu nehmen und zu respektieren.
Frage: Ist Kindertheater insofern die logische Konsequenz, als die Showcase-Performance die Fortsetzung des Spieles mit anderen Mitteln ist?
SCBLM: Hä? Theaterspielen heißt Theaterspielen. In diversen gescheiterten Lebensgemeinschaften wurde uns von unseren berufstätigen PartnerInnen häufig vorgeworfen, dass wir ja nur spielen würden statt zu arbeiten. Das stimmt vielleicht sogar. Trotzdem nehmen wir unseren Job ernster, als die jämmerlichen Erfüllungstätigkeiten der Leute, die uns das vorwerfen.
Frage: Worin liegt für Showcase der Reiz, für Kinder zu arbeiten?
SCBLM: Tja, ob sie es glauben oder nicht: Wir erlauben uns mehr. Wir lehnen uns weiter aus dem Fenster und sind mutiger als in vielen unserer anderen Projekte. Wir glauben es selbst kaum, aber das haben wir bei unserer letzten Produktion für Kinder herausgefunden.
Frage: Wie hat sich ihre Arbeit für Kinder seit HOTZENPLOTZ weiterentwickelt, welche Erfahrungen haben sie in MONDFAHRT mit einbezogen?
SCBLM: Die Mondfahrt war schwieriger als der Hotzenplotz, weil es ein schlechtes und biederes Stück ist, das als einzige Moral die Forderung mitbringt, Kinder mögen doch bitte artig sein und keine Tiere quälen. Andererseits bietet die Mondfahrt eine Fülle seltsamer Figuren, retrofuturistischer Bilder und verschrobener, antiwissenschaftlicher Naturerklärungen. Das hat unsere Fantasie in Richtung Mond beflügelt und uns zu der Idee geführt, eine Maikäfersekte zu gründen, die diesen ganzen Unsinn kurzerhand in ein sektenhaftes Weltbild integriert und als Messe zelebriert. Das ist sehr gut gelungen. Viele mögen inzwischen die Mondfahrt sogar lieber als den Hotzenplotz. Deshalb sind wir persönlich auf diese Produktion noch stolzer als auf den Hotzenplotz, der ja schon auf der Textebene genial und deshalb wirklich schwer zu verderben ist obwohl es immer noch genug Leute gibt, die auch das schaffen. Mit der Mondfahrt haben wir eine harte Nuss geknackt und sind buchstäblich über uns selbst hinausgewachsen.
Frage: Wie unterscheidet sich Euer Spiel mit einem erwachsenen und einem jungen Publikum, wer reagiert wie auf was?
SCBLM: Das ist schwer zu sagen. In unseren Kinderstücken sitzen ja auch immer zwischen 10% und 60% Erwachsene, und jeder nimmt irgendetwas mit, jeder reagiert auf andere Dinge. Wir spielen immer für die Erwachsenen und die Kinder. Deshalb können wir da keinen generellen Unterschied im Spiel festmachen.
Frage: Welchen Stellenwert nimmt das Produzieren für Kinder in Eurer Gesamtarbeit ein?
SCBLM: Zur Zeit machen wir pro Jahr 1 Kindertheaterproduktion und 1-4 Produktionen für Erwachsene.
Frage: Welche Erfahrungen habt Ihr mit Lehrern gemacht, die ja von Theater erst mal eine klassische, illusionistische Spielweise erwarten?
SCBLM: Wir würden die illusionistische Spielweise nicht mehr als klassisch bezeichnen. Eher als eine museale Kuriosität, die hier und da zwar noch auf Bühnen herumgeistert, aber eigentlich doch von niemandem mehr ernst genommen wird. Wir waren teilweise entsetzt über die Reaktionen der Pädagogen. Hier gibt es extreme Unterschiede, die Diskussionen sind sehr stark von Lehrerpersönlichkeiten geprägt. So kann Schule manchmal zu einer Verdummungsanstalt werden, manchmal aber auch zu einem Forschungslabor. Wir waren erstaunt, dass es hier keine klaren Standards gibt.
Frage: Warum gibt es im Moment gerade um Euch als Kindertheater-Macher einen Hype, was unterscheidet Euch von anderen?
SCBLM: Wir glauben, es ist die Tatsache, dass wir eben kein Kindertheater machen und dass sich unsere Arbeit nicht darin erschöpft, Vermutungen darüber anzustellen, was eine bestimmte Zielgruppe, in diesem Fall ein junges Publikum, wohl mögen oder brauchen könnte. Erst einmal geht es darum, was wir selbst mögen und brauchen. So entwickelt man oft einen besseren Draht zu den Zuschauern, als wenn man sich ständig offensiv um sie bemüht.
Frage: Was interessiert Euch für Kinder zu erzählen? Welche Geschichten sucht Ihr?
SCBLM: Wir suchen Geschichten mit einer Moral. Mit einer Überzeugung, die wir entweder vertreten und verstärken, oder an der wir uns auf andere Weise abarbeiten können.
Frage: Könntet Ihr Euch auch vorstellen, für Jugendliche zu arbeiten?
SCBLM: Wir finden Jugendliche zwischen 14 und 18 von allen Altersgruppen die langweiligste. Warum? Weil sie entweder unerträglich linientreu oder unerträglich verklemmt sind. Meistens sind Leute in diesem Alter beflissene Jasager, die sich nur darin unterscheiden, wem ihr Ja gilt.
Frage: Kinder gelten ja allgemein als das „bessere“ Publikum. Es gibt Theatermacher, die nach der Erfahrung für Kinder zu spielen, aufgehört haben, für ein erwachsenes Publikum zu spielen. Weil Erwachsene vergleichsweise verklemmt und kontrolliert im Theater sitzen, möglichst nichts von ihren Regungen zeigen und sowieso immer alles besser wissen. Man fragt sich, warum gehen die überhaupt ins Theater außer aus Konvention oder aus Repräsentationszwecken. Wie ist das bei Showcase? Spielt ihr inzwischen auch lieber für die „kleinen Zuschauer“? Und haben sich, bewusst oder unbewusst, die Erfahrungen mit dem Kindertheater auf Eure anderen Projekte ausgewirkt?
SCBLM: Sagen wir, man kann ein Stück für Kinder öfter spielen als für Erwachsene, weil sich die Reaktionen in verschiedenen Aufführungen stärker voneinander unterscheiden und man immer wieder überrascht wird. Trotzdem spielen wir genauso gerne für Erwachsene. Manchmal spielen wir aber auch sehr ungern und nur des Geldes wegen.
Frage: Was habt ihr über die Wahrnehmung von Kindern gelernt? Gibt’s Eurer Meinung so etwas wie „kindgerechte“ Spielweisen? Zum Beispiel auch hinsichtlich Tempo, Rhythmus, Komplexität? Ist die Arbeit für Kinder für die eigenen ästhetischen Maßstäbe irgendwie produktiv?
SCBLM: Also wenn wir „kindgerecht“ hören, denken wir sofort an irgendwelche weiß geschminkten Pantomimeschweine mit roten Clownsnasen und weit aufgerissenen Augen. Nein danke. Dann lieber nicht kindgerecht. Wir sind schließlich nicht immer nett zu den Kindern, und es gibt auch eine hübsche kleine Sammlung von Beschwerdebriefen in unserem Archiv. Es ist wichtig, die Zuschauer auch zu quälen, sonst pennen sie weg. Das gilt für Kinder wie für Erwachsene. Denken Sie an Roald Dahl, der seinen kindlichen Lesern Tod und Verderben nicht erspart und sie mit grausamen Schicksalsschlägen und ungesühnten Verbrechen konfrontiert. Nein, wir glauben, über kindgerechte Spielweisen sollte man sich lieber keine Gedanken machen, weil solche Gedanken immer die eigene Überlegenheit postulieren, die nur Idioten für sich annehmen.
Frage: Bietet das Kindertheater mehr Freiheiten als der Performance-Kontext?
SCBLM: Beides bietet so viel Freiheit, wie man für sich in Anspruch nimmt.
Frage: Wie war es für Euch mit Kinderbuch-Klassikern zu arbeiten? In Euren Stücken entwickelt Ihr ja ansonsten die Texte selbst...
SCBLM: Auch in unseren Kinderstücken spielt selbst geschriebener Text eine große Rolle. Ohne den geht es nicht. Wir müssen alles in unsere eigene Sprache übersetzen, um es ertragen zu können.
SCBLM über die Produktion Nazisupermenschen sind Euch allen überlegen
Showcase Beat Le Mot über „Nazisupermenschen sind allen überlegen - The Horror of the Ordinary“
Frage: Im Gegensatz zu Euren Gießener Kollegen, seid Ihr dafür bekannt, Euch auch mit historischen Themen auseinander zusetzten. Wie kommt das?
SCBLM:Das hat natürlich mehrere Gründe. Erstens wollen wir in unseren Projekten etwas dazulernen, entweder den virtuosen Umgang mit einem Akkuschrauber, wie beim Bau unseres temporären Theaters Ding Dong Dom in Berlin, oder eben mit der erweiterten Kenntnis einer anderen Epoche.
Frage:Und warum gerade Geschichte, Vergangenheit?
SCBLM:Tja, eigentlich ganz einfach, weil wir in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit meistens mehr über unsere Gegenwart erfahren, als wenn wir so hippe Jetzt-Zeit-Stücke machen.
SCBLM:Wir könnten auch autobiografisches Theater machen, so Miete/Strom/Gas -mässig. Und über unsere Zeitgenossenschaft ab lästern; aber so etwas hat kaum politisches Gewicht, das bleibt häufig im Gejammer hängen. Wir könnten uns auch ständig auf der Bühne beschweren und ironisch und augenzwinkernd gegen das böse Kapital wettern. Dann wären Alle einverstanden und würden einen Abend über etwas sehen, was sie sowieso denken.
Frage: Warum also Geschichte. Ihr habt Stücke über China oder die Zeit der japanischen Edo Periode gemacht?
SCBLM: Ähh, ganz einfach. Aus Nietzsche zum Beispiel wäre ein vergessener Spinner geworden, wenn sich sein wirkliches Interesse nicht der Antike gewidmet hätte und wie deren Errungenschaften und Denkweisen sich bis in unsere Zeit ziehen. Oder FickiFackiFoucault. Seine Auseinandersetzung mit dem Mittelalter erzählt mehr über unsere Gegenwart, als es ein Zeitstück je tun könnte.
Frage: Und warum stürzt Ihr Euch jetzt auf die Periode des Nationalsozialismus?
SCBLM: Na wegen des Sozialismus, (Lacht).
SCBLM: Nee, mal ehrlich. In unserer Schulzeit in den 1980ern, kam es zu einem Generationenwechsel der Lehrer. Die 68er übernahmen den Unterricht und beendeten das große Schweigen über das III Reich. Plötzlich wurde alles aufgearbeitet.
SCBLM: Mir kommt es so vor, als ob wir wöchentlich Filme über diese Zeit gesehen haben. All unsere Schulausflüge gingen nach Dachau oder Auschwitz.
Frage: Und das findet Ihr schlimm?
SCBLM: Nein, gar nicht. Aber die Auseinandersetzung war eine rein faktische. Wir wurden mit Statistiken und Zahlen bombardiert. Aus Angst eine unangemessene Vergangenheitsbewältigung zu vollziehen ging man fast mathematisch mit dem NS Regime um.
SCBLM: Und davon wollten wir uns befreien und dem Diskurs eine Erzählung und ein Drama an die Seite stellen. Damals war das verboten, aus Angst auch nur den kleinsten Fehler oder die geringste Verfälschung zu machen. Aber alle wichtigen und schrecklichen Ereignisse der Geschichte bedürfen auch einer künstlerischen Nacherzählung. Die isländische Edda, der trojanische Krieg...
Frage: .....die Illias, die Bibel..... Ihr denkt also, dass Ihr auf diesem Level angekommen seid. Das Hildebrandslied, Don Quichotte und Showcase Beat le Mot?
SCBLM: ...Ja...
SCBLM: Mhhm, nein das wäre anmaßend, natürlich wollen wir das Hildebrandslied, schaffen aber nur Harry Potter, wir versuchen die Illias, heraus kommt Star Wars.
Frage: Immer noch Größenwahnsinnig.
SCBLM: Scherz beiseite, wir haben die Antwort doch schon gegeben. Uns geht es darum, dem offiziellen Geschichtskanon, dessen Koordinaten sich im Übrigen auch ständig verändern, etwas hinzuzufügen. Schlimmstenfalls ziehen wir das Thema vom Sockel des Unantastbaren hinab ins Triviale. Aber nicht um zu verharmlosen oder zu relativieren, sondern um die Auseinandersetzung und Erinnerung lebendig zu halten.
Berliner Zeitung über die Produktion On nO
Brandherd von Ideen - Stromsturm für Elektra
Theatertechniker besitzen das geheime Wissen darüber, was auf der Bühne wirklich möglich wäre, wenn die Maschinerie nur endlich einmal von der Leine gelassen würde. Die Performergruppe Showcase Beat le Mot holt in "On#nO" im HAU das gesammelte Technikerwissen auf die Bühne.
In eurer neuen Inszenierung arbeitet ihr mit sechs Technikern des HAU. Was können und wissen Techniker, das in "On#nO" Stoff und Thema des Stücks wird?
Theatertechniker sehen mehr Theater als alle anderen Menschen auf diesem Planeten. Sie sehen mehr als die Theaterzuschauer, die sich vielleicht einmal im Monat ein Stück anschauen, das sie interessiert. Sie sehen mehr als die Theatermacher, die sich meistens für die Stücke anderer Leute nicht besonders erwärmen können. Sie sehen auch mehr als die Intendanten und Dramaturgen, die von einer Produktion meist nur ihr Endergebnis mitbekommen. Theatertechniker schauen sich jedes Stück, in dem sie mitwirken, viele Male an, egal, wie grauenhaft es ist. Zugleich erleben sie die Entstehung, teils von innen, da sie ja mitmachen, teils aber auch wie Zuschauer, die vom Technikpult aus in aller Ruhe dabei zusehen, wie sich die Künstler auf der Bühne gegenseitig anschreien. Das alles bringt eine schöne Abgebrühtheit mit sich, eine Würde und eine Art Weisheit nach dem Motto: "Regt euch nicht auf, Kinder. Das haben wir alles schon oft erlebt."
Die Premiere als ein Endergebnis, das vor die Zuschauer hingestellt wird, ist doch immer nur die Spitze des Eisbergs. Theater fängt nicht mit der Premiere an und hört auch nicht damit auf. Die Theatertechnik verkörpert das Leben im Off, hinter der Bühne, vor und nach der Aufführung, einen Aspekt, den wir schon immer viel interessanter gefunden haben als das Gehampel von Schauspielern im Scheinwerferlicht. Bei vielen Aufführungen sind die Umbaupausen die Höhepunkte des Stücks. In "On#nO" sind die Umbaupausen das Stück.
Was sind eure Erfahrungen mit dem "Geheimwissen" von Technikern im Theater?
Es gibt tatsächlich Geheimnisse, die sorgfältig gehütet werden. In jedem Theater gibt es Räume, zu denen nur die Techniker Zutritt haben. Solche Räume bieten der Technik die Möglichkeit, von nervigen Regisseuren eine Zeitlang in Ruhe gelassen zu werden. Zum anderen laden sie sich als Heterotopie innerhalb der Heterotopie des Theaters unglaublich mit Phantasien und Wunschprojektionen auf, vor allem bei denen, die eben keinen Zutritt haben. Das Tonlager, der Schnürboden, die Unterbühne, die Versenkung, die Drehbühnenmechanik, der Dimmerraum . Das alles sind Teile einer Maschinerie, die für die Erzeugung von Wundern hergerichtet worden ist. Wenn wir Zugang zu diesen Räumen bekommen, hat das einen ähnlichen Effekt, wie wenn uns ein Zauberer einen verblüffenden Trick verrät. Geheimnisse gibt es aber auch auf anderer Ebene: Keiner kennt die personellen Verflechtungen innerhalb eines Theaters so gut wie die Techniker - die Intrigen, die heimlichen Hierarchien, die persönlichen Spleens von Künstlern und Organisatoren, den Aberglauben, die Rituale hinter der Bühne. Auch hierbei ist die Technik oft außen vor und hat die Möglichkeit, dieses Spektakel distanziert und mit Humor anzuschauen.
In euren anderen Arbeiten steht ihr als Regiekollektiv auch auf der Bühne. Wer steht als Spieler in "On#nO" auf der Bühne, und wer kümmert sich um die Technik dahinter?
"On#nO" ist insofern ein Ausnahmefall, als wir beschlossen haben, die Bühne tatsächlich zu räumen und ganz den Technikerinnen und Technikern zu überlassen. Normalerweise ist es uns wichtig, in unserer Arbeit auch die eigene Haut zu Markte zu tragen. Aber nachdem uns unsere Freunde von der Technik nun schon seit elf Jahren beobachten, kommentieren, kritisieren und liebevoll verarschen, wollen wir in diesem Stück einmal den Spieß umdrehen, indem wir sagen: "So Freunde, wenn ihr so schlau seid, dann macht das mal selber." Zu unserer großen Überraschung stieß dieses Ansinnen auf viel Gegenliebe. Denn alle Techniker, mit denen wir in unserem Kontext zusammengearbeitet haben, sind auch Künstler, die ihre Wünsche mit sich herumtragen in Form einer Liste von Dingen, die sie schon immer mal auf der Bühne machen wollten. Das Problem bisher war, dass es ihnen nie jemand erlaubt hat, weil die Künstler immer ihre eigenen Vorstellungen mitbringen und umsetzen wollen. Bei der Technik löst das oft große Enttäuschung aus, weil diese Wünsche meistens hinter den Möglichkeiten weit zurückbleiben. Jetzt bekommen wir endlich einmal eine Situation, wo die Theatertechnik an die Grenze ihrer Möglichkeiten stößt