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Interview mit:

SCBLM über Kinder- und anderes Theater mit Christiane Müller-Lobeck, zusätzliche Fragen wurden gestellt von: Amelie Mallmann (Theater an der Parkaue Berlin), Kathrin Tiedemann (FFT Düsseldorf), Stefan Rüdinger (Parkaue Berlin)

Frage: Wie seid Ihr zum Kindertheater gekommen?

SCBLM: Das war eher Zufall. Während des Donaufestivals in Österreich hat unser Fahrer immer Ragga-Musik im Auto gehört. Dariusz hat dann angefangen darauf Hotzenplotz Texte zu toasten und das hat sich irgendwie richtig angehört. Zwei Wochen später berichteten wir einem Dramaturgen von der Parkaue von diesem Experiment und wenige Tage später kam die Anfrage vom Haus. Das ist die wahre Legende von Ragga-Hotzenplotz.

Frage: Habt ihr vorher schon mal darüber nachgedacht Kindertheater zu machen?

SCBLM: Nicht wirklich, zwar haben treue Showcase-Zuschauer gesagt, manche unserer Stücke wären ja schon kindertauglich und ein Freund beschrieb unsere Theaterabende als „freundliches Anbieten harter Themen“, aber Kinder als Zuschauer konnten wir uns erst mal nur in Begleitung Erwachsener vorstellen.

Frage: Hört sich an, als ob sich zwei gefunden hätten....

SCBLM: Tatsächlich ist ein Aspekt unserer Arbeitsweise das inhaltliche Herantasten an Themenkomplexe, die uns zwar interessieren, in denen wir uns aber nicht so gut auskennen. In der Probephase versuchen wir dann möglichst viel über ein Thema oder eine Fragestellung herauszufinden, und das Ergebnis präsentieren wir schließlich als didaktisch-dialektischen Theaterabend. Böse Zungen könnten das jetzt als „Sendung mit der Maus-Theater“ bezeichnen, aber diese Beschreibung unserer Arbeitsweise würde viel zu kurz greifen. Wir denken immer auch über die Präsentationsform, das gegenwärtige Theater usw. nach. Nur geschieht das auf einer subtileren Ebene.

Frage: Fühlt Ihr Euch wohl im Kinder- und Jugend-Theater?

SCBLM: Pudelwohl. Wir sind ja eher wie das Kind zur Jungfrau gekommen und haben darüber hinaus gemerkt, dass im Kinderbereich viel mehr möglich ist als im Erwachsenen Genre. Das Stadttheater ist eine festgefahrene Form. Dort gilt nach wie vor häufig die Maxime des „Schönen, Wahren und Guten“, es gibt einen Bildungskanon der abgearbeitet wird und die Kritiker urteilen darüber, wie gelungen das ist. Im Kindertheater und in der Performanceszene gibt es kaum Einschränkungen, aber auch keine so große Aufmerksamkeit. Diese beiden Genres sind Experimentierfelder.

Frage: Wie meint ihr das?

SCBLM: Na ja, zuerst kannten wir uns im Kinderbereich gar nicht aus, jetzt haben wir einen Blick durch den Vorhang werfen dürfen und festgestellt, dass Kindertheater fast so variationsreich wie das Manga-Comic Feld in Japan ist. Dort gibt es Mangas für Kleinkinder, für Mädchen oder Jungen, Teenager oder Rentner. Im Kindertheater gibt es Stücke für die Krabbelgruppe mit Licht und Objekten zum anfassen, es gibt Theater für die Schulanfänger und Stücke, die gerade in der Oberstufe durchgenommen werden. Die Bandbreite ist riesig und auch die Formen schwanken wie auf hoher See. Es herrscht eine unglaubliche Freiheit. Schauen Sie sich nur das Programm der Parkaue an. Die fahren volles Risiko und machen damit nicht nur die Eltern glücklich.
Frage: Denkt Ihr, dass Ihr eine spezifische Form des Kindertheaters erfunden habt?


SCBLM: Da kennen wir uns immer noch zu wenig aus. Außerdem sind unsere Stücke stark an der Ästhetik unserer „Erwachsenenstücke“ dran. Nur will das keiner erkennen. Manchmal denken wir, dass unsere Kindertheaterstücke wie ein „Best-Off“ der Erwachsenenschiene funktionieren. Viele Erzählweisen, Kostüme, oder Schauspielhaltungen sind schon mal aufgetaucht, nur nicht so explizit. Darum ärgern wir uns auch über die Feststellung mancher Beobachter, dass unsere Kindertheatersachen zwar super, die Abendstücke aber zu sperrig sind. Ja Leute, seid Ihr denn blind? Könnt Ihr kein Theater gucken, oder was? Die beiden Arbeitsfelder gehören zusammen, sie sind nicht mal zwei Seiten einer Medaille, sondern ein zum Düsenjäger gefalteter Papierflieger, der Zuschauern direkt ins Auge uns weiter rauf ins Hirn fliegt.

Frage: Könnt Ihr trotzdem einen Unterschied zwischen Erwachsenen- und Kindertheater festmachen?

SCBLM: Der Unterschied liegt in den Zuschauern. Noch nie hatten wir ein solch begeisterungsfähiges und kritisches Publikum. Das könnte an der Ironiefreiheit und Ehrlichkeit liegen, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie gezeigt werden. Allerdings haben wir es noch nicht gewagt uns der schwierigen Gruppe der Pubertierenden zu stellen. Das steht bald an, und daran wird sich schließlich messen lassen, ob unser Zeug was taugt oder nicht.

Frage: Ist es Euch peinlich, wenn Eure Hamburger oder Giessener Performance Kollegen fragen, was Ihr gerade macht. Oder anders, was muss passieren, dass man mit Kindertheater angeben kann?

SCBLM: Wenn unsere Mitmenschen hören, dass wir Kindertheater machen, dann gibt es zwei Arten von Reaktion. Die eine geht so: „Oh wie süüüß, das müssen ja wirklich gute Menschen sein.“ Die andere geht so: „Die armen Schweine, jetzt haben sie’s im Erwachsenentheater nicht gepackt und müssen schon aufs Kindertheater ausweichen.“ Beides ist natürlich falsch. Es sagt mehr über den Menschen, der das sagt, als über uns oder über Kindertheater oder über Erwachsenentheater. Uns persönlich gehen solche Zuschreibungen schon immer am Arsch vorbei, weil sie nicht künstlerisch, also menschlich motiviert sind, sondern sozial, und weil sie Ausdruck von Obrigkeitshörigkeit sind. Wir wissen ja noch nicht einmal, was ein Kind ist, und wie sich ein Kind von einem Erwachsenen unterscheidet. Woher sollen wir dann wissen, was Kindertheater ist und wie es sich von Erwachsenentheater unterscheidet?

Frage: Wie seht Ihr Kindertheater unter Bildungsauftragsaspekten oder als Zukunftsmarkt für qualitative Unterhaltung, da die Bedeutung der Kinderausbildung ja eher größer wird.

SCBLM: Unseren Bildungsauftrag nehmen wir im Kindertheater genauso wie im Erwachsenentheater wahr und zwar ungefragt. Die Auftraggeber sind in beiden Fällen wir selbst und sonst niemand.

Frage: Welche Wünsche habt Ihr in diesem Zusammenhang an die Theaterleiter, Kuratoren, die Kulturfonds und die Politik.

SCBLM: Die Aufgabe der Theaterleiter und Kuratoren ist es, Produktionsmittel und Zuschauer zu beschaffen. Die Aufgabe der Kulturfonds ist es, Geld über den Schreibtisch zu schieben, um unsere öffentliche Dienstleistung zu bezahlen. Die Aufgabe der institutionalisierten Politik ist es, die Schnauze zu halten und sich nicht in unsere Angelegenheiten einzumischen.

Frage: Wo seht Ihr die Showcase Performance in 5 Jahren? Gibt's es da ein Kindertheater-Anteil oder ist es nur eine Not- bzw. Zwischenlösung?

SCBLM: Warum bitte soll Kindertheater eine Notlösung sein? Welche Not? Welche Lösung? Gibt es Ihrer Meinung nach bessere und schlechtere Zuschauer, ein wertvolleres und ein weniger wertvolles Publikum? In dieser Frage schwingt viel unredliches Dünkel mit, sie ist Ausdruck einer Geringschätzung, die in Deutschland Kindern im Allgemeinen entgegengebracht wird. Schauen Sie sich an, was in anderen Ländern für Kinder getan wird: in Skandinavien oder den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Dort ist Kindererziehung eine hohe politische Aufgabe, der sich die kulturellen Eliten widmen. Hier bei uns wird dieser Ehrgeiz durch eine unerträglich sentimentale Überhöhung der Kindheit ersetzt. Dieser weinerliche Kinderkult ist uns vollkommen fremd. Vermutlich sind wir deshalb viel besser befähigt, diese Menschengruppe ernst zu nehmen und zu respektieren.

Frage: Ist Kindertheater insofern die logische Konsequenz, als die Showcase-Performance die Fortsetzung des Spieles mit anderen Mitteln ist?


SCBLM: Hä? Theaterspielen heißt Theaterspielen. In diversen gescheiterten Lebensgemeinschaften wurde uns von unseren berufstätigen PartnerInnen häufig vorgeworfen, dass wir ja nur spielen würden statt zu arbeiten. Das stimmt vielleicht sogar. Trotzdem nehmen wir unseren Job ernster, als die jämmerlichen Erfüllungstätigkeiten der Leute, die uns das vorwerfen.


Frage: Worin liegt für Showcase der Reiz, für Kinder zu arbeiten?

SCBLM: Tja, ob sie es glauben oder nicht: Wir erlauben uns mehr. Wir lehnen uns weiter aus dem Fenster und sind mutiger als in vielen unserer anderen Projekte. Wir glauben es selbst kaum, aber das haben wir bei unserer letzten Produktion für Kinder herausgefunden.

Frage: Wie hat sich ihre Arbeit für Kinder seit HOTZENPLOTZ weiterentwickelt, welche Erfahrungen haben sie in MONDFAHRT mit einbezogen?

SCBLM: Die Mondfahrt war schwieriger als der Hotzenplotz, weil es ein schlechtes und biederes Stück ist, das als einzige Moral die Forderung mitbringt, Kinder mögen doch bitte artig sein und keine Tiere quälen. Andererseits bietet die Mondfahrt eine Fülle seltsamer Figuren, retrofuturistischer Bilder und verschrobener, antiwissenschaftlicher Naturerklärungen. Das hat unsere Fantasie in Richtung Mond beflügelt und uns zu der Idee geführt, eine Maikäfersekte zu gründen, die diesen ganzen Unsinn kurzerhand in ein sektenhaftes Weltbild integriert und als Messe zelebriert. Das ist sehr gut gelungen. Viele mögen inzwischen die Mondfahrt sogar lieber als den Hotzenplotz. Deshalb sind wir persönlich auf diese Produktion noch stolzer als auf den Hotzenplotz, der ja schon auf der Textebene genial und deshalb wirklich schwer zu verderben ist ­ obwohl es immer noch genug Leute gibt, die auch das schaffen. Mit der Mondfahrt haben wir eine harte Nuss geknackt und sind buchstäblich über uns selbst hinausgewachsen.

Frage: Wie unterscheidet sich Euer Spiel mit einem erwachsenen und einem jungen Publikum, wer reagiert wie auf was?

SCBLM: Das ist schwer zu sagen. In unseren Kinderstücken sitzen ja auch immer zwischen 10% und 60% Erwachsene, und jeder nimmt irgendetwas mit, jeder reagiert auf andere Dinge. Wir spielen immer für die Erwachsenen und die Kinder. Deshalb können wir da keinen generellen Unterschied im Spiel festmachen.

Frage: Welchen Stellenwert nimmt das Produzieren für Kinder in Eurer Gesamtarbeit ein?

SCBLM: Zur Zeit machen wir pro Jahr 1 Kindertheaterproduktion und 1-4 Produktionen für Erwachsene.

Frage: Welche Erfahrungen habt Ihr mit Lehrern gemacht, die ja von Theater erst mal eine klassische, illusionistische Spielweise erwarten?

SCBLM: Wir würden die illusionistische Spielweise nicht mehr als klassisch bezeichnen. Eher als eine museale Kuriosität, die hier und da zwar noch auf Bühnen herumgeistert, aber eigentlich doch von niemandem mehr ernst genommen wird. Wir waren teilweise entsetzt über die Reaktionen der Pädagogen. Hier gibt es extreme Unterschiede, die Diskussionen sind sehr stark von Lehrerpersönlichkeiten geprägt. So kann Schule manchmal zu einer Verdummungsanstalt werden, manchmal aber auch zu einem Forschungslabor. Wir waren erstaunt, dass es hier keine klaren Standards gibt.

Frage: Warum gibt es im Moment gerade um Euch als Kindertheater-Macher einen Hype, was unterscheidet Euch von anderen?

SCBLM: Wir glauben, es ist die Tatsache, dass wir eben kein Kindertheater machen und dass sich unsere Arbeit nicht darin erschöpft, Vermutungen darüber anzustellen, was eine bestimmte Zielgruppe, in diesem Fall ein junges Publikum, wohl mögen oder brauchen könnte. Erst einmal geht es darum, was wir selbst mögen und brauchen. So entwickelt man oft einen besseren Draht zu den Zuschauern, als wenn man sich ständig offensiv um sie bemüht.

Frage: Was interessiert Euch für Kinder zu erzählen? Welche Geschichten sucht Ihr?

SCBLM: Wir suchen Geschichten mit einer Moral. Mit einer Überzeugung, die wir entweder vertreten und verstärken, oder an der wir uns auf andere Weise abarbeiten können.

Frage: Könntet Ihr Euch auch vorstellen, für Jugendliche zu arbeiten?


SCBLM: Wir finden Jugendliche zwischen 14 und 18 von allen Altersgruppen die langweiligste. Warum? Weil sie entweder unerträglich linientreu oder unerträglich verklemmt sind. Meistens sind Leute in diesem Alter beflissene Jasager, die sich nur darin unterscheiden, wem ihr Ja gilt.

Frage: Kinder gelten ja allgemein als das „bessere“ Publikum. Es gibt Theatermacher, die nach der Erfahrung für Kinder zu spielen, aufgehört haben, für ein erwachsenes Publikum zu spielen. Weil Erwachsene vergleichsweise verklemmt und kontrolliert im Theater sitzen, möglichst nichts von ihren Regungen zeigen und sowieso immer alles besser wissen. Man fragt sich, warum gehen die überhaupt ins Theater außer aus Konvention oder aus Repräsentationszwecken. Wie ist das bei Showcase? Spielt ihr inzwischen auch lieber für die „kleinen Zuschauer“? Und haben sich, bewusst oder unbewusst, die Erfahrungen mit dem Kindertheater auf Eure anderen Projekte ausgewirkt?

SCBLM: Sagen wir, man kann ein Stück für Kinder öfter spielen als für Erwachsene, weil sich die Reaktionen in verschiedenen Aufführungen stärker voneinander unterscheiden und man immer wieder überrascht wird. Trotzdem spielen wir genauso gerne für Erwachsene. Manchmal spielen wir aber auch sehr ungern und nur des Geldes wegen.

Frage: Was habt ihr über die Wahrnehmung von Kindern gelernt? Gibt’s Eurer Meinung so etwas wie „kindgerechte“ Spielweisen? Zum Beispiel auch hinsichtlich Tempo, Rhythmus, Komplexität? Ist die Arbeit für Kinder für die eigenen ästhetischen Maßstäbe irgendwie produktiv?

SCBLM: Also wenn wir „kindgerecht“ hören, denken wir sofort an irgendwelche weiß geschminkten Pantomimeschweine mit roten Clownsnasen und weit aufgerissenen Augen. Nein danke. Dann lieber nicht kindgerecht. Wir sind schließlich nicht immer nett zu den Kindern, und es gibt auch eine hübsche kleine Sammlung von Beschwerdebriefen in unserem Archiv. Es ist wichtig, die Zuschauer auch zu quälen, sonst pennen sie weg. Das gilt für Kinder wie für Erwachsene. Denken Sie an Roald Dahl, der seinen kindlichen Lesern Tod und Verderben nicht erspart und sie mit grausamen Schicksalsschlägen und ungesühnten Verbrechen konfrontiert. Nein, wir glauben, über kindgerechte Spielweisen sollte man sich lieber keine Gedanken machen, weil solche Gedanken immer die eigene Überlegenheit postulieren, die nur Idioten für sich annehmen.

Frage: Bietet das Kindertheater mehr Freiheiten als der Performance-Kontext?

SCBLM: Beides bietet so viel Freiheit, wie man für sich in Anspruch nimmt.

Frage: Wie war es für Euch mit Kinderbuch-Klassikern zu arbeiten? In Euren Stücken entwickelt Ihr ja ansonsten die Texte selbst...

SCBLM: Auch in unseren Kinderstücken spielt selbst geschriebener Text eine große Rolle. Ohne den geht es nicht. Wir müssen alles in unsere eigene Sprache übersetzen, um es ertragen zu können.