Radar Radar nichts ist egal
"... Das beginnt damit, daß man in ihrer Performance "Radar, Radar, nichts ist egal" als Zuschauer alles tun darf, was man bei einem Videoabend oder beim Ausgehen mit Freunden gerne macht: rauchen, saufen, relaxt abhängen, bei Wohnzimmerbeleuchtung auf dem Sofa rumknutschen, in bunten Magazinen stöbern. Man fühlt sich als Gast, und das heißt zum Beispiel auch, daß man an der Garderobe nichts abgeben muß, weder den eigenen Verstand noch das Gefühl für die eigene Präsenz (die normalerweise im Theater mit dem Ausschalten der Saalbeleuchtung erlöscht). Eine schwebende, geteilte Aufmerksamkeit erfüllt den Raum, in die hinein die fünf Performer mit ihren Geschichten und Choreografien emotionale Flächen und Höhepunkte setzten, mit einem untrüglichen, am Plattenauflegen geschulten Gefühl für Timing, Breaks und Übergänge.
Sampling mit dem Material aus einem kollektiven, über die Jahre angelegten Speicher kulturellen Wissens. So kommt man von der Fachsimpelei über Fußball, die zu einem kleinen Turnier „Blindenfußball“ führt, zum Entfesselungskünstler Harry Houdini, weiter zur Erzählung von einem Extremperformer, der mit HIV-infizierten Injektionskanülen jonglierte, bis ihn niemand mehr sehen wollte, als bekannt wurde, daß er sich bei einer besonders schwierigen Nummer infiziert hatte, zu einem herrlich selbstironischen Video-Selbstporträt eines gescheiterten Jungfilmers, zu völlig abstrusen Interpretationen einiger futuristischer Comic-Bilder von Enki Bilal, um irgendwann beim Großen Lauschangriff zu landen....Alles hängt wie bei einer einzigen Paranoia irgendwie miteinander zusammen. „Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarettenfabrik“, sagt einer irgendwann. Und in der Tat entfaltet der zweieinhalbstündige Abend, gespickt mit artistischen Höhepunkten wie einem Tanz in Skistiefeln, einer Fechtnummer mit Langlaufskiern und einer Voraufführung des neuen Stücks von Franz Xaver Kroetz und Rainald Goetz, eine solche Sogwirkung, daß rnan gar nicht genug kriegen kann. Da die Jungs auch dafür bekannt sind, daß sie nicht nur gerne tanzen, sondern fast noch lieber andere zum Tanzen bringen, darf man sicher sein, daß die Aufführungen wie schon während des Praterspektakels Ende Juni in ausgedehnten Parties ihre Fortsetzung finden. Die Aspirin für den Morgen danach gibt es leider (noch) nicht zusammen mit der Eintrittskarte."
(tip Berlin 17/1998, Kathrin Tiedemann, Abhänger mit Diplom Theater im Chill-out-Room: showcase beat le mot mit „Radar, Radar, nichts ist egal“)