Paris 1871 Bonjour Commune
Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts haben die großformatigen Schlachtenmalereien ausgedient. Sie werden abgelöst von Darstellungen historischer Augenblicke, die das Kriegerische ordnen und die kurzen Momente der Anarchie in eine Form gießen. Die Revolution ist eine Bildermaschine. Die Boschaft ist schicksalhafte Notwendigkeit und Unausweichlichkeit. Konkrete Ereignisse fließen mit ihrer Vorgeschichte und ihren Folgen zusammen und werden zu einer Metapher, die politische und soziale Zwänge pathetisch überhöht. Bis in die Gegenwart setzt sich die Vorstellung vom bedeutsamen, alles entscheidenden Augenblick in Comic-Kultur und Dokumentarfotografie fort. Der Aufstand und die Belagerung von Paris im Jahr 1871 wird zu einer Repräsentation, die ebenso scheitert, wie die dazugehörige Revolution gescheitert ist. Gesiegt hat sie nur in den Bildern, die sie sich notdürftig bastelte, um im Nachhinein den zerrissenen Leibern, zerstörten Visionen und vergessenen Schicksalen einen Sinn zu geben.
Credits
Idee & Umsetzung: Showcase Beat Le Mot / Musik: Miguel Ayala / Einzelkind /Choreographie: Showcase Beat Le Mot, Doro Ratzel / Projektionen: Friedemann Hanewinckel / Bauten: Atia Trofimoff, Christian Wenzel / Graphik: Anne Luft / Regieassistenz: Stefan Rüdinger / Produktionsassistenz: Melina Gerstemann / Produktionsleitung: Olaf Nachtwey
Paris 1871 Bonjour Commune ist eine Produktion von Showcase Beat le Mot mit Hebbel am Ufer, Steirischer Herbst und Kampnagel Hamburg. Gefördert durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – kulturelle Angelegenheiten und die Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Kultur, Sport und Medien.
Besprechungen
„...Schon zu Beginn ist das Theater komplett verkehrt: Statt Spiels empfängt die eintretende Zuschauerschar erst einmal Speisung - Brathühnchen und Rotwein. Wer das Neinsagen nicht versteht, der wird noch bevor das echte Spiel beginnt, schon satt und versöhnt in den Polstersesseln liegen, die diesmal selbst auf der Bühne stehen, während die vier Showcasler später die Vorderbühne samt Zuschauerraum bespielen. Was heißt bespielen? Nichtbespielen. denn was sie dann eine gute Stunde lang aus dem Bratendunst und Theaternebel auftun, ist ein höchst intelligentes Spiel der Verweigerung....ein dunkel leuchtendes Konstrukt aus 100 Genres, nur viel offener, abstrakter noch. Es sind Versuchsanordnungen kindlich-anarchistischer, wissenschaftlich-sezierender Art, die zunächst so tun, als wollten sie aus Särgen die Pariser Barrikadengeschichte von einst zum Leben erwecken. Doch schnell wandelt sich die Bühne in ein Funken schlagendes Denklabor: Keine Geschichte, nur kleine Spiel-Guillotinen und Bälle werden ein und ausgepackt aus einem großen Würfel, der so geheimnisvoll im Raum liegt, wie Kokarden schwarzes Quadrat. Es entspinnt sich ein Werkstatt-Zaubertheater aus dem Geist der Installation, Turnens und Musizierens. Nicht Schauspieler liefern Texte, sondern selbst gebastelte Flugblattgeschosse. Eine Akkordeon-Maschine, überblendete Schriftbilder. Und auch sie erzählen nicht einfach, sondern deuten nur an, verdichten....Showcase Beat le Mot theatern hier nichts nach, sie konstruieren. Irritation ist ihr Mittel der Vergegenwärtigung....Vollbracht aber ist in diesem perspektivreichen Baukasten-Theater nichts: Etwas noch Unbekanntes, Formloses, doch heftig Drängendes versucht sich den ganzen Abend über durch viele Verhüllungen ins Leben zu kämpfen - …“
(Berliner Zeitung, 8./9.10.2010, Doris Meyerhenrich, „Satt vom Huhn, versöhnt vom Rotwein -Revolutionstheater im HAU 1 mit Showcase Beat le Mot“
„Es gibt auch keine Geschichte mehr zu erzählen. Showcase Beat Le Mot machen ein episodisches Theater der Körper und Bewegungen, der Wörter und Stimmen, der Lieder und Beats, der Samples und Zitate, der Dinge und Apparaturen. Eine Geschichte im herkömmlichen Sinn wird hier nicht erzählt, weil die Tradition der Repräsentationskunst, die großen Gemälde von Delacroix et al., uns nicht die Wahrheit der vielen erzählen können, die für die Kommune, das heißt die Selbstverwaltung derer, die den gesellschaftlichen Reichtum produzieren, gelebt haben und gestorben sind.…“
(taz – die tageszeitung, 11.10.2010, Ulrich Gutmair, Revolution im Hebbel-Theater)
„....Denn Showcase Beat Le Mot entwerfen einen hoch verdichteten Bilderbogen. Er schichtet Revolutionsassoziationen ineinander, ohne Deutungsrichtung vorzugeben, nur eine Stimmung: die allgemeine, diffuse Sehnsucht nach Umwälzung. Radikaler kann man sich vom Dienstleistungstheater nicht distanzieren. Hier wird nichts bebildert, nirgends um Einfühlung gebuhlt und dem Zuschauer nie das Denken abgenommen. Wir sitzen auf den allerweichsten Fernsehsofas – und werden nicht mit fertigen Welt- und Wirklichkeitsbildern abgefüllt. Sehr raffiniert. Sehr herausfordernd auch....“
(Frankfurter Rundschau, 11.10.2010, Dirk Pilz, Showcase Beat Le mot) Eine Publikumsbespeisung)